Oberhausen 18.07.04 vonBe

Tornadoschäden in Oberhausen 18.07.2004

Die Aufnahmen zeigen Schäden in der Straßburger Straße nach dem Tornado in Oberhausen. Im nachfolgenden Bericht sind eindrucksvoll die Ereignisse in Oberhausen geschildert.





Tornado am 18.07.2004

Dieser Bericht ist ein Augenzeugenbericht und stellt die Ereignisse in Oberhausen da, wie sie vom Beobachter in seiner subjektiven Weise erlebt worden sind.

Vorbemerkung

Die nun geschilderten Ereignisse werde ich wohl in meinem Leben nicht mehr vergessen. Viele Menschen in meiner Nachbarschaft, aber auch ich selbst, sind durch diese Naturgewalten ein Stück traumatisiert worden. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich den Eindruck völlig hilflos den Naturgewalten ausgeliefert zu sein. Wir sind völlig unvermittelt von einem Wetterphänomen überrascht worden, dass wir bisher nur aus dem Kino oder vom Fernsehen her kannten. Und dieses Wetterphänomen überraschte uns zu Hause.

Wenn man sich die einschlägigen Dokumentationen über Tornados anschaut, sieht man immer wieder, dass Menschen sich z.T. aus begründetem wissenschaftlichem Interesse oder auch einfach nur zum Spaß als Tornadojäger betätigen. Die meisten dieser Dokumentation vermitteln den Eindruck, dass diese Leute wissen was sie tun. Zumindest scheint es so, dass sie die Gefahr durch ihr bewußtes Handeln eingrenzen und kontrollieren können. Auf einige dieser wirklichen Fachleute scheint diese Einschätzung auch zuzutreffen.

Über eines macht man sich aber sicher keine Gedanken, wenn man "popcornkrümelnt" im Kinosessel oder auf der heimischen Couch sitzt. Was passiert eigentlich, wenn ein Tornado quer durch deinen Garten tobt? Kann man dann noch irgendetwas kontrollieren?

Eines möchte ich direkt vorweg schicken. Obwohl ich mich Interesse halber mit Naturereignissen beschäftige, habe ich selbst nach der Wettererscheinung, so möchte ich es erst einmal nennen, nicht geglaubt, dass ein Tornado über unsere Dächer hinweg gezogen ist. Erst als Tage später eine offizielle Verlautbarung in den Nachrichten und in der Tageszeitung standen, wurde mir klar, dass ich einen Tornado selbst miterlebt haben könnte.

Örtlichkeiten

Ich wohne mit meiner Familie im Oberhausener Südwesten, dort im Stadtteil Styrum. Die Bebauung ist typisch für das Ruhrgebiet. Befährt man die Strassen, sieht man häufig Haus an Haus stehen, meist drei bis vier Etagen hoch. Die Innenhöfe aber, sind häufig kleine grüne Oasen der Ruhe, die sich die Menschen dort geschaffen haben. So ist es auch hier. Z.T. recht lockere, an anderer Stelle aber doch wieder dichte Bebauung. Im Inneren dieser Wohnblöcke findet man Gärten und Grünflächen mit bis zu 15 Meter hohen Nadelbäumen (meistens Tannen oder Kiefern) aber auch Laubbäume u.a. bis zu 25 Meter hohe Pappeln.

Wir wohnen in einem Neunfamilienhaus. Vor dem Haus ist eine kleine Grünfläche. Die unterirdischen Versorgungsleitungen der Strasse wurden gerade saniert. Zwei Bauwagen und eine Dixitoilette standen vor dem Grundstück. Hinter dem Haus befindet sich ein Garten mit einer Tennisplatz großen Rasenfläche; rechts und links flankiert von zwei Doppelgaragen. Dahinter liegt die Styrumer Allee, eine ehemalige Eisenbahnstrecke, die nun als Fußgängermeile von der Stadtgrenze bis zur alten Mitte von Oberhausen führt. Die Allee verdient auch ihren Namen. Hier stehen etwa 60 Jahre alte Platanen. Leider waren diese mächtigen Bäume aufgrund eines Fäulnisbefalls, ausgelöst durch eine Krankheit allesamt zwei Jahre vor dem Juli 2004 bis auf den Hauptstamm heruntergeschnitten worden. Die Kronen der Bäume reichten damals bis ein Höhe von ca. 16 bis 18 Meter. Das nun die Bäume bis auf den ca. 4 bis 5 Meter hohen Hauptstamm und den ersten Astgabeln heruntergeschnitten worden sind, hatte niemanden begeistert, war aber im Nachhinein möglicherweise sogar lebensrettend, aber dazu später mehr.

Leider hatte uns ein Gewitter am Vorabend durch Überspannung den Internetanschluss lahm gelegt. Durch eine Unwetterwarnung am Freitagnachmittag des DWD und auch der Meteomedia AG waren wir aber darauf vorbereitet, dass es an diesem Wochenende ungemütlich werden könnte. Vorbereitet?! Man sollte nicht glauben, dass man sich vorbereiten kann, wenn die Natur mit einem Großereignis zu dir nach Hause kommt.

Ich wohne in Parterre und habe daher keinen besonders freien Blick. Es ist eine Ost-West Wohnung. Zum Westen hin liegt das Wohnzimmer. Man schaut also in Richtung Duisburg. Aus dieser Richtung kam dann der Tornado.

 

Es war ein Sonntagabend. Viele Einzelheiten, die dieses außergewöhnliche Wetterereignis mit sich brachten, werde ich wohl nicht mehr vergessen. Den ganzen Tag habe ich mich auf einen unterhaltsamen Fernsehabend gefreut. Da, wie bereits geschrieben, die Wetterprognosen indirekt von Aktivitäten im Freien abrieten, Gewitter gab es schon am Freitagabend, machte ich es mir in meinem Wohnzimmer bequem.

Das Unwetter kündigte sich bereits um kurz nach 21.00 Uhr an. Blitze zuckten über den Himmel. Gegen 21.20 Uhr zeigte sich der Himmel über Duisburg pechschwarz. Ein Schwarz, dass ich vor einem Gewitter so noch nie gesehen habe. Um diesen Eindruck besser zu verdeutlichen folgende Erklärung: Selbst ein mondloser, aber sternklarer Nachthimmel ist im Ruhrgebiet nicht ganz schwarz. Restlicht unserer Stadtbeleuchtung erhellt den Himmel immer so, dass Hausdächer sich dunkel vor dem Nachthimmel in Umrissen abzeichnen. Dieser Himmel war aber so schwarz, dass selbst Hausdächer nicht mehr als Umrisse zu sehen waren.

Ob die Dämmerung nun schon eingesetzt hatte, war in diesem recht seltsamen diffusen Licht nicht mehr zu erkennen.

Die weiße Fassade des etwa 50 Meter entfernten Hauses auf der anderen Seite des Wohnblocks leuchtete geradezu im Restlicht des Tages. Dahinter war die besagte rabenschwarze Wand zu sehen, ohne das man weitere Strukturen erkennen konnte. Der Himmel war insgesamt bedeckt, dass man auch keine Wolkentürme oder Ähnliches ausmachen konnte. Dieses Schwarz fesselte meine Aufmerksamkeit. Da schien sich ein kräftiges Gewitter mit starken Niederschlägen und Sturmböen anzukündigen. Alle losen Gegenstände holte ich vom Balkon; Fenster sowie Türen schließen und Rollos herunterlassen schien mir nun sinnvoll zu sein. Unser Sohn, der üblicherweise spätesten um 20.00 Uhr im Bett liegt, schlief tief und fest und sollte durch ein Unwetter, das man bei offenem Fenster sicher hört, nicht geweckt werden.

Ich leistete mir den Luxus, das Rollo vor der Balkontüre nicht zu schließen um die Wetterentwicklung weiterhin beobachten zu können. Gelegentlich öffnete ich die Türe, um die Wetterentwicklung weiterhin genauer sehen zu können. Mit einem Mal, es war ca 21.25 Uhr hörte ich ein Rauschen, dass sich binnen kürzester Zeit zu einem Geräusch entwickelte, das einem herannahenden Schnellzug ähnelte. Dann flogen auch schon Äste, Müll und anderes unidentifizierbares Zeug durch die Luft. Durch den Flug einiger Holzbretter irritiert dachte ich in diesem Augenblick an die Kuh aus dem Kinofilm "Twister". Trotz dieses kurzen Gedankenblitzes ignorierte ich die Möglichkeit, dass es sich hier um einen Tornado handeln könnte. Ich dachte eher an sehr starke Scherwinde, die bei Unwettern häufig mal auftraten.

Das ganze optische Chaos schien aber nicht aufhören zu wollen. Im Gegenteil! Plötzlich wurden die Kronen der Alleebäume, die Platanen, die erst vor zwei Jahren heruntergeschnitten wurden, vom Wind um die Hälfte heruntergedrückt.

Die Kronen hatten schon wieder eine beachtliche Größe, da Platanen sehr schnell wachsen. Die langen Äste, die sich wie schmale Finger meterlang in den Himmel recken, wurden fast alle auf das Niveau des Hauptstammes herunter gedrückt. Dabei peitschten die Äste so gegeneinander, so dass viele auch einfach abbrachen.

Plötzlich sah ich zwei Männer die Allee herunterrennen. Nach kurzem Sprint drehten sie sich um, um dann weiter zu rennen. Ein recht massiv gebautes Gartenhaus von etwa 3 x 3 Meter Größe mit einem Giebeldach wurde im Garten gegenüber seitlich um mindestens einen Meter angehoben. Es sah so aus, als ob das ganze Haus gleich davon rollen wollte. Alles passiert parallel zu meinem Fenster von Westen nach Osten. Trümmerteile flogen nicht auf mich zu, sondern einfach nur vorbei. Ich sah weder einen Trichter noch nahm ich eine Drehbewegung war. Alles flog einfach nur mit einer Urgewalt an unserem Fenster vorbei. Ich hörte durch die Doppelverglasung das Krachen und Brechen von Holz.

Ein kleiner Pflaumenbaum, der im Garten stand, wurde entwurzelt. Das bisher beschriebene Chaos waren Momentaufnahmen der vielleicht ersten 5 Sekunden.

Mir reichte es. Mit einem Krachen ließ ich das Rollo vor der Balkontüre herunter und lief ins Kinderzimmer. Meine Frau lief in die Küche um dort aus dem Fenster zu sehen. Die Dixitoilette flog um die zwei Bauwagen herum um auf der Rückseite des zweiten Wagens liegen zu bleiben und Teile der Baustellenabsperung flogen durch die Luft und landeten in einem Mercedes. Die Bauwagen verschoben sich leicht, blieben aber stehen. Ziegel flogen von den Dächern auf die Strasse, einer durchschlug eine Frontscheibe eines PKW´s und ein zweiter Ziegel durchschlug das Stoffdach eines abgestellten Cabrio.

Trotz des Getöses schlief mein Sohn tief und fest. Bereit ihn, beim kleinsten Anzeichen von Beschädigungen am Rollo oder Fenster, aus dem Bett zu nehmen und ins Badezimmer zu flüchten (einziger Raum ohne Fenster), stand ich vor dem Hochbett und hörte auf das klappern der Rollos. Langsam legte sich die Geräuschkulisse. Wie lange dieses Ereignis nun dauert kann ich überhaupt nicht abschätzen. Starkregen setzte aber unmittelbar danach ein und in kürzester Zeit entwickelten sich rechts und links der Strasse reißende Bäche, die in die Kanalisation stürzten.

Irgendwann war dann der ganze Spuk vorbei und fast alle Menschen gingen auf die Strasse um sich die Schäden anzuschauen. An unserem Haus klaffte ein 2 x 3 Meter großes Loch im Dach. Die Dachantenne war teilweise weggerissen; die Reste hingen schief herunter. Von den Balkonkästen in der zweiten Etage fehlte jede Spur. Eine Birke vor unserem Haus wurde entwurzelt. Vom Nachbargrundstück waren Bäume auf eine der Doppelgaragen gestürzt und hatten Teile aus dem Teerdach geschlagen. Das Nachbargrundstück hatte einen großen Baumbestand darunter vier große Pappeln ca. 18 bis 22 Meter hoch. Drei dieser Bäume waren in 10 Meter Höhe einfach abgedreht worden. Die Kronen lagen quer über die Strasse. Zahlreiche Autos waren durch Ziegel beschädigt. Ein Haus, das am Ende der Strasse quer, also in Ost-West-Richtung gebaut war, hatte gut die Hälfte des Daches verloren. Als ich um die nächste Straßenecke bog, sah ich den Grund für die panikartige Flucht der beiden Männer auf der Allee. Eine etwa 80 Jahre alte Eiche war komplett entwurzelt worden und lag quer über der Straße. Überhaupt war es ein ziemliches Chaos. Die Straßen waren teilweise rot eingefärbt von Dachziegeln. Überall lagen Äste und z.T. auch ganze Bäume auf Straßen und Gehwegen. Es gab nicht ein Dach, wo keine Ziegel fehlten. Auf den Dächern wurde teilweise schon gearbeitet. Lose Ziegel, Dachrinnen, Zinkbleche und Teerpappen wurden auf die Strasse geworfen. Menschen standen überall in kleinen und größeren Gruppen und diskutierten über das Ereignis.

Die Medien schwiegen zuerst. Weder im TV noch im Radio gab es Nachrichten zu den aktuellen Ereignissen der Nacht. Ein unhaltbarer Zustand, wie ich meine. Erst in den Mitternachtsnachrichten wurden die Ereignisse sporadisch beschrieben.

 

In dieser Nacht war es schwer, überhaupt in den Schlaf zu kommen. Die Feuerwehr war mitten in der Nacht schon damit beschäftigt, die Bäume von den Strassen mit Hilfe von Kettensägen zu beseitigen.

Am Montag hieß es dann, dass wohl ein Tornado mit der Kategorie F2 Duisburg und Oberhausen getroffen hätte und dort z.T. schwere Zerstörung verursacht habe.

Schweres Gerät wie Autokräne, Lastenaufzüge vieler Dachdeckerbetriebe und Abfallcontainer prägten in den nächsten vier bis sechs Wochen das Bild im Viertel. Die Laufstrecke des Tornados war anhand des Schadenverlaufs durch das Wohnviertel und die Innenstadt gut zu sehen, die Schadenränder waren klar zu erkennen. Ich war in den ersten Tagen froh, wenn ich meinem PKW aus dem Schadengebiet heraus war. Dann hatte ich zumindest ein Stück Normalität wieder und es war jedesmal bedrückend nach der Arbeit wieder in dieses Chaos hineinzufahren. Die Balkonkästen unseres Nachbarn fanden sich Tage später unter der umgestürzten Birke auf der Rückseite des Hauses. Sie mussten über das Haus geweht worden sein.

Fazit: Es ist der Tageszeit (Sonntagabend etwa von 21.10 Uhr bis 21.40 Uhr), glücklichen Umständen (zufälliger Lebensablauf vieler Menschen an diesem Abend) und vorbeugenden Maßnahmen (rechtzeitiger Baumbeschnitt) zu verdanken, dass dieses Ereignis keine Menschenleben gefordert hat. Eine akute Warnkette, wenn man von den allgemeinen Warnungen der Wetterstationen absieht, hat es nicht gegeben. Obwohl wir in einem technisch hochmodernen Land leben, war es niemandem möglich, eine Warnkette in Gang zu setzten, weil die Infrastruktur zum Schutz der Bevölkerung einfach demontiert wurde. Aus meiner Sicht war ein großer Fehler die bestehenden Sirenenanlagen in Deutschland zu demontieren. Diese Anlagen hätten die Bevölkerung flächendeckend warnen können. Der (friedensgemäße) Katastrophenschutz ist Ländersache. Hier muss man aus meiner persönlichen Sicht den Verantwortlichen Vorhalten, dass sie es scheinbar vergessen haben, dass Katastrophenschutz schon vor Eintreffen des Schadenereignisses beginnt und nicht erst, wenn etwas passiert ist. Für die Zukunft kann ich unter den jetzigen Voraussetzungen nur annehmen, dass es irgendwann zu tragischen Todesfällen kommen wird, weil Menschen nicht rechtzeitig gewarnt wurden. Ich persönlich sehe bei schlechtem Wetter und aufkommenden Gewitterwolken besonders häufig und mit gemischten Gefühlen zum Himmel.

(Be), 15.01.2006

Copyright der Fotos und des Berichtes: Be (Der Name des Fotografen und Autors ist der Naturgewalten-Redaktion bekannt.)



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