Micheln 23.06.04 Jens
Fricke
Schadensbericht Micheln-Tornado 23. Juni 2004:

von Jens Fricke
Die hier geschilderte Chronologie der Ereignisse und die Analyse der Schäden sind aus einer Vielzahl von Informationen wie Augenzeugenberichten, Auswertung von Schadensbildern, Presse- und Rundfunkmeldungen entstanden. Sie erheben weder einen Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit oder inhaltliche Vollständigkeit. Es ist möglich, dass im Nachhinein durch weitere neue Erkenntnisse Teile dieses Berichts ergänzt oder verändert werden.
Über die Wettersituation an diesem Tage ist ja in den Links von Herrn Sävert bereits vieles gesagt worden, daher soll dieser Punkt hier nicht weiter erwähnt werden.
Seinen Anfang nahm die Katastrophe etwas südöstlich der Ortschaft Wulfen, wo sich die verhängnisvolle Wetterentwicklung zuspitzte und sich erste Strukturen abzeichneten, ohne jedoch schon eine Bodenberührung zu haben. Hier war es aber bereits sehr stürmisch, so dass es im Bereich der Ortsverbindungsstraße Maxdorf-Wulfen zu Schäden an einem Fahrzeug gekommen ist (Pressemeldung). Etwa gleichzeitig ging über den Ortschaften Wulfen und dann fortlaufend über Lödderitz und Aken teilweise starker Hagel (taubeneigroße Hagelkörner) nieder, der ebenfalls zu Schäden geführt hat.
Das Unwetter bewegte sich vom beschriebenen Punkt südöstlich von Wulfen etwa in Richtung Ost-Nord-Ost weiter und gewann an Intensität. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren von Augenzeugen rotierende Wolkenstrukturen bemerkt worden, die langsam den bekannten abwärts gerichteten Kegel bildeten. Über den Zeitpunkt, an dem diese Struktur die o.g. Landstraße passierte, sind mir keine genauen Angaben bekannt. Aus anderen, mir bekannten Angaben lässt sich die etwaige Zeit auf ca.18.40 Uhr rekonstruieren. Dann passiert alles Weitere in schneller Folge. Ca. 2 Minuten später, und etwa 400 m vor der Ortschaft Micheln bildet sich dann die klassische Tornadostruktur heraus und es gibt in diesem Bereich etwa gegen 18.42 die erste Bodenberührung auf einer landwirtschaftlichen Nutzfläche. Bereits Sekunden später wird eine am westlichen Rand der Ortschaft Micheln ca. 200 m vor der ersten Bebauung stehende Baumgruppe erfasst und zerstört. In der Folge bewegt sich der Sturm in einer ca. 100-200 m breiten Schneise fast genau mittig über die Ortschaft (Situation bei ▲ 2, siehe Übersichtskarte) hinweg und verursacht die bereits mehrfach beschriebenen schweren Schäden.
Übersichtskarte
Die Übersichtskarte zeigt den ungefähren Verlauf des Tornados. Auf die blau markierten Punkte wird im Text eingegangen. Die dunkelgrüne Linie beschreibt die Zone, in der der Tornado wahrscheinlich nur teilweisen Bodenkontakt hatte.
Bild 1
Bild 1:
Hier eine Ansicht des Westrandes der Ortschaft Micheln in Blickrichtung Süd mit der teilweise zerstörten Baumgruppe. Kurz vor dem rechten Bildrand dürfte die Stelle des ersten Bodenkontaktes des Tornados gelegen haben. Links ist die beginnende Bebauung zu erkennen. (Situation bei ▲1, siehe Übersichtskarte)
Bild 2
Bild 2
zeigt einen Blick etwa in Richtung des Tornadoverlaufs, also Blickrichtung Ost, aufgenommen von der Stelle der mutmaßlichen ersten Bodenberührung aus (Das Foto entstand ca. 2 Wochen nach dem Ereignis. Viele Schäden waren zu diesem Zeitpunkt zumindest teilweise oder provisorisch repariert worden. In den ersten Tagen nach dm Tornado sah es noch wesentlich schlimmer aus). (Situation bei ▲ 1, siehe Übersichtskarte)
Nach der Verwüstung von Micheln bewegt sich der Sturm weiter in einem leichten nördlichen Bogen (eventueller Zusammenhang mit dem ca. 100-300 m nördlich von Micheln beginnenden Elb-Urstromtal und einer damit verbunden einer leichten Geländeabsenkung von ca. 15 m?) in Richtung der Ortschaft Trebbichau. Ca. 1,5 km vor Trebbichau kreuzt der Sturm diagonal die Ortsverbindungsstraße Trebbichau-Wulfen und zerstört dort den gesamten Baumbestand an Straßenbäumen an der Südseite der Straße auf einer Länge von 400 m. Eine ebenfalls neben der Straße verlaufende Freileitung zur Ortsversorgung wird in diesem Bereich glücklicherweise nicht beschädigt.
Bild 3
Bild 3
Zerstörter Baumbestand entlang der Straße Trebbichau-Wulfen Blickrichtung West, aufgenommen etwa von der südlichen Werkseinfahrt des Styropor-Werkes aus gesehen. (Situation bei ▲ 3, siehe Übersichtskarte)
Etwa 1 km südwestlich von Trebbichau liegt das Werk eines Herstellers von Styropor. Nach der Überquerung der Landstraße bewegt sich der Tornado ebenfalls diagonal über das Werksgelände hinweg (Situation bei ▲ 4, siehe Übersichtskarte) und verursacht dort erhebliche Schäden an Gebäuden sowie Produktions- und Lagerflächen (siehe Links von Radio SAW). Im Anschluss zieht der Sturm über einen Teich und ca. 300 m unbewohntes Brachland hinweg.
Bild 4
Bild 4
Zerstörungen etwa 100 m vom Werksgelände entfernt, Blickrichtung Ost (Richtung Trebbichau) (Situation bei ▲ 5, siehe Übersichtskarte)
Bild 5
Bild 5
Vegetationsschäden ca. 100 m östlich des Werkes. Standort etwa 50 m südlich Bild 4, Blickrichtung Ost (Trebbichau) (Situation bei ▲ 5, siehe Übersichtskarte)
Bild 6
Bild 6
Vegetationsschäden Fotostandort wie Bild 4, nur Blickrichtung Südost. Im Baum verfangen der Rest eines Stahltrapezbleches aus der Bedachung des Werkes. (Situation bei ▲ 5 siehe Übersichtskarte)
Bild 7
Bild 7
Vegetationsschäden am nordwestlichen Ufer des Teiches. (Situation bei ▲ 5, siehe Übersichtskarte)
Bild 8
Bild 8
Vegetationsschäden am östlichen Ufer des Teiches, im Hintergrund das Styropor-Werk, Blickrichtung West. (Situation bei ▲ 5, siehe Übersichtskarte)
Bild 9
Bild 9
Weitere Vegetationsschäden am Teich. (Situation bei ▲ 5, siehe Übersichtskarte)
Die Uhr zeigt inzwischen 18.45 Uhr. Styropor-Rohware wird aus dem Werksgelände in ganzen Blöcken vom Tornado regelrecht hoch gesaugt und teilweise mehrere Kilometer fort getragen. Augenzeugen aus dem 3 km entfernten Osternienburg beschreiben diesen Moment später als besonders seltsam, weil sie das herumwirbelnde Styropor für große Mengen Papier halten, welches ein regelrechtes weißes Flimmern in der kreisförmigen Bewegung erzeugt. Bei Bild 10 kann sich der Betrachter vorstellen, welche Gewalt notwendig ist, um diese Blöcke über die beschriebenen Entfernungen zu schleudern.
Bild 10
Bild 10
Diese Styropor-Blöcke mit einem geschätzten Volumen von ca. 1m³ und 5 m³ (Raumgewicht je nach Sorte ca. 15-30 kg/m³) wurden durch den Tornado vom Werk über die Straße und den Teich hinweg auf das Brachland geschleudert. Alles in allem an dieser Stelle ca. 300 m. (Situation bei ▲ 5, siehe Übersichtskarte)
Kurz danach erfasst der Sturm auch die ersten Bebauungen der Ortschaft Trebbichau (Situation bei ▲ 6, siehe Übersichtskarte). Auch diese Schäden wurden in anderen Medien bereits ausführlich gezeigt. Auch drei Ortsversorgungsmasten des Energieversorgers aus Stahlbeton (!) fallen in Trebbichau dem Sturm zum Opfer und werden abgeknickt.
Am Ortsausgang von Trebbichau, zerstört der Tornado dann einen ehemals dichten Bestand an Laubbäumen komplett. Auch hier gibt es mehrere kleine Teiche, die von Anglern genutzt werden. Teilweise stürzen komplette Bäume, nachdem sie umgeknickt oder entwurzelt sind, in den Teich, teilweise werden große Äste abgerissen und komplett fort getragen. Ein Angelkahn aus Stahlblech wird vom Angelteich durch oder über zwei Baumgruppen hinweg ca. 70 m weit auf ein Rapsfeld in Richtung der B 187 a geschleudert. Überall verfangen sich Reste von Dachdeckungen, Verpackungsmaterialien u.ä. in den Bäumen und Sträuchern.
Bild 11
Bild 11
Dieser Baumbestand am Ortsausgang Trebbichau in Richtung B 187 a, der unmittelbar an den Garten eines Hauses grenzte, war ehemals sehr dicht und kaum zu durchblicken. Der Tornado zerstörte alles. (Situation bei ▲ 6, siehe Übersichtskarte)
Bild 12
Bild 12
Dieser Angelkahn aus Stahl wurde ca. 70 m durch oder über zwei Baumgruppen hinweg auf ein Rapsfeld geschleudert. Blickrichtung Nord-Ost, im Hintergrund die Straße von Trebbichau zur B 187 a. (Situation bei ▲ 6, siehe Übersichtskarte)
18.46 Uhr erreicht die Wirbelzone des Sturms dann die B 187 a. Ein Stahlbeton-Freileitungsmast wird regelrecht abgedreht und unterbricht die Stromversorgung auch für die Einwohner, die nicht direkt von Schäden betroffen sind. Der Wegweiser, der direkt am Abzweig Trebbichau der B 187 a steht, wird trotz eines 13 cm dicken Stahlrohres einfach am Fußpunkt umgeknickt. Komplette Baumkronen von Straßenbäumen werden in diesem Bereich abgerissen und weit auf das Feld gewirbelt. Überall, egal ob auf dem Feld oder in den angrenzenden kleineren Waldstücken, sind Reste des vom Sturm mitgerissenen Styropors zu sehen. Noch ca. 700 m östlich der Bundesstraße, also mehr als 3 - 4 km Luftlinie vom Werk, gehen Blöcke von Kubikmetergröße nieder.
Bild 13
Bild 13
Das Getreide auf dem Feld nördlich der Verbindungsstraße Trebbichau-B 187 a wurde ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Der erste hier sichtbare Mast ist bereits erneuert worden. Das Original hielt dem Sturm nicht stand und knickte ab. (Bild 14) (Situation bei ▲ 7, siehe Übersichtskarte)
Bild 14
Bild 14
Der Mast am Abzweig Trebbichau der B 187 a. Selbst massiver Stahlbeton hielt auch hier, wie bereits dreimal vorher in Trebbichau, den Gewalten des Sturms nicht stand. (Bild 14) (Situation bei ▲ 7, siehe Übersichtskarte)
Bild 15
Bild 15
Die Straße nach Trebbichau, Blickrichtung West von der B 187 a aus gesehen. Auch hier massive Schäden an der Vegetation. (Situation bei ▲ 7, siehe Übersichtskarte)
Bild 16
Bild 16
Direkt am Abzweig der Bundesstraße stand diese ehemals eindrucksvolle Linde... (Situation bei ▲ 7, siehe Übersichtskarte)
Bild 17
Bild 17
Hier sieht selbst der Laie, welche Kräfte da am Werk waren. Das Stahlrohr, welches hier als Schilderstütze eingesetzt wurde, hatte einen Durchmesser von 13 cm, die Befestigungsbolzen 15 mm! (Situation bei ▲ 7, siehe Übersichtskarte)
Bild 18
Bild 18
Ein Bild vom Feldweg, der die Verlängerung des Abzweiges Trebbichau über die B 187 a hinaus in östliche Richtung bildet. Diese Baumkrone gehörte zu einem Straßenbaum der Bundesstraße und liegt ca. 30 m neben seinem Stamm.

Im Hintergrund und in den Ästen des Baumes ist das gestreute Styropor erkennbar. An dieser Stelle ist das Werk bereits ca. 2-3 km entfernt.

(Situation bei ▲ 8, siehe Übersichtskarte)
Bild 19
Bild 19
Selbst in dem Waldstück ca. 150 m nordöstlich der Einmündung des Trebbichauer Zubringers an die Bundesstraße, also etwas außerhalb der mutmaßlichen Zugzone des Tornados, hat es erhebliche Waldschäden gegeben. Blickrichtung Süd.

(Situation bei ▲ 8, siehe Übersichtskarte)
Bild 20
Bild 20
Wiederum ein Blick vom Abzweig der Zubringerstraße nach Trebbichau in Richtung Nordost. Das ist das nächste Waldstück, welches getroffen wurde. Es liegt ca. 600 m östlich der Bundesstraße. Die Schäden im Detail auf den nächsten Bildern.

Am linken Bildrand beginnt die Waldschadenszone, in der Bild 19 aufgenommen wurde.

(Situation bei ▲ 8, siehe Übersichtskarte)
Bild 21
Bild 21
Wie hier zu sehen, sind die Schäden auch in der Forstwirtschaft beträchtlich.

(Situation bei ▲ 8, siehe Übersichtskarte)
Bild 22
Bild 22
Egal ob Laub- oder Nadelbaum. Diesen Gewalten ist nichts gewachsen.

(Situation bei ▲ 8, siehe Übersichtskarte)
Bild 23
Bild 23
Ein weiteres Beispiel.

(Situation bei ▲ 8, siehe Übersichtskarte)
Bild 24
Bild 25
Bilder 24 und 25
Diese Styropor-Blöcke von ca. Kubikmeter-Größe lagen auf dem Feld bzw. am Feldweg ca. 700 m und 300 m östlich der B 187a.

(Situation bei ▲ 9, siehe Übersichtskarte)
Es dürfte inzwischen 18.48 Uhr sein. Der Tornado bahnt sich in den nächsten Minuten einen Weg durch die angrenzenden Wälder.
Bild 26
Bild 26
Hier beginnt der Wald vor Kleinzerbst. Am Rand sind nur wenige Schäden sichtbar. Doch im Inneren des Waldes sieht es teilweise schlimm aus.

(Situation bei ▲ 9, siehe Übersichtskarte)
Die in Zugrichtung folgende Ortschaft Kleinzerbst wird gegen 18.50 Uhr nur knapp verfehlt. 250 m nördlich des Ortsrandes werden Schneisen mit starken Zerstörungen in den Wald geschlagen. Das Vorhandensein dieser Schneisen lässt die Vermutung zu, dass es in diesem Bereich nur noch eine teilweise Bodenhaftung gegeben hat. So sind z.B. beidseitig der Ortsverbindungsstraße Kleinzerbst-Aken keinerlei Schäden sichtbar. Aber nach ca. 50 m im Waldesinneren sind wieder die Zonen der punktuellen Zerstörung zu erkennen.
Bild 27
Bild 27
Schneise 250 m nördlich Kleinzerbst, Blickrichtung Süd. Das Foto entstand auf der Westseite der Straße Kleinzerbst-Aken ca. 50 m vom Straßenrand entfernt im Wald. An dieser Stelle stand ehemals ein sehr dichter Baumbestand.

(Situation bei ▲ 9, 10, siehe Übersichtskarte)
Bild 28
Bild 28
Hier nochmals das Bild einer weiteren Schneise östlich der im letzten Bildtext beschriebenen Straße.

(Situation bei ▲ 9, 10, siehe Übersichtskarte)
Bild 29
Bild 29
Einzelne große Bäume wurden im Waldstück zwischen den Ortsverbindungsstraßen Kleinzerbst-Aken und Reppichau-Susigke entwurzelt.

(Situation bei ▲ 9, 10, siehe Übersichtskarte)
Bild 30
Bild 30
Dies ist die letzte mir bekannte Schadensstelle ca. 50 m östlich der Straße Kleinzerbst-Susigke.

(Situation bei ▲ 10, siehe Übersichtskarte)
Bild 31
Bild 31
auch ca. 200 m östlich des Standortes der Aufnahme 30 ist noch Styropor aus der Streuspur zu sehen.
Hinter der Straße Reppichau-Kleinzerbst war nur noch eine Schadensstelle sichtbar. Die Straße selbst muss für einige Zeit unpassierbar gewesen sein, denn ein größerer, inzwischen zerlegter Baum war offensichtlich entwurzelt und auf die Straße geworfen worden.
Das Styropor-Streufeld lässt hinter Susigke stark nach. Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, dass in Susigke noch einiges Material heruntergekommen wäre. Tatsächlich habe ich ca. 1 Woche nach dem Ereignis an einem Reiterhof ca. 1 km östlich dieses Ortes noch kleine Reste gefunden. Es gibt auch Gerüchte, dass Teile des Styropors bis Dessau-Kühnau mitgetragen wurden. Dort habe ich am Rande eines ehemaligen Russischen Truppenübungsgeländes aber nur noch eindeutig aus dem Werk stammende Verpackungsfolien (gelber Punkt) und an der Straße Aken-Dessau eine einzelne Platte gefunden (blauer Punkt), deren Weg dorthin aber nicht zwangsweise mit dem Tornado zu tun haben muss (ist aber wahrscheinlich, da der Fundort in der vermuteten Zugzone liegt).
Streufeldkarte
Streufeldkarte
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Ich hoffe, dass mit diesem Bericht auch für diejenigen, die sich in der Region nicht auskennen, eine Einschätzung des Ereignisses sowie Vorstellungen zu den Örtlichkeiten und dem Schadensverlauf besser möglich sind. Natürlich konnten hier nicht alle Fotos veröffentlicht werden, aber ich denke, das gibt schon ein recht anschauliches Bild.
Diese Abhandlung erhebt allerdings, wie eingangs schon gesagt, keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sachliche Richtigkeit bis in jedes Detail. Einige Aussagen beruhen auf Schlussfolgerungen, die sich aus der Spurenlage ergeben haben.

Jens Fricke

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